Der Trostberger stellte sein Programm im Rosenheimer Kesselhaus vor
Was für eine Kulisse. Die Alte Spinnerei in Kolbermoor, genauer gesagt das Kesselhaus. Während der Schweiß der Fabrikarbeiter aus grauen Vorzeiten längst dem historischen Mauerwerk entwichen ist, scheint doch die Kraft des (schon lange ruhenden) Dampfkessels irgendwie präsent und verleiht dem Raum eine besondere Aura und ein sehr cooles Ambiente. Der perfekt Ort um die Botschaft “Relativ Simpel” an den geneigten Zuhörer zu bringen. Stephan Zinner, der eloquente Trostberger, der mit der Leidenschaft zur Schauspielerei und der überdurchschnittlicher Musiker, hat nach den “Wilden Zeiten” ein neues Programm im Köcher. Pfeilgrad seine Spitzen, ambitioniert sein Beitrag, treffsicher seine Pointen. Eine Bank in der deutschen Kaberett Szene.
Erstmals steht Zinner mit musikalischer Begleitung auf der Bühne. Andy Kaufmann, der Schweizer, genauer der Waliser, unterstützt Zinner auf sehr sympathisch zurückhaltende Art und Weise am Schlagzeug. Diese Zurückhaltung nutzt Zinner an diesem Abend jedoch gnadenlos aus, um den jungen Jazzmusiker “anzubieten”. “Du bist ja eigentlich schon vergeben, oder doch nicht?” fragt er, nachdem die Vorzüge von Andy ausgiebig erklärt sind und sein Status (in wilder Ehe lebend) hinterfragt ist.
Zinner in bester Laune. Der Trostberger schwadroniert, lästert, schäkert mit dem Publikum, kokettiert, singt, tanzt, lacht, schwatzt und “dialektelt” und zelebriert vor allem eines: den Blues, den Rock´n Roll. Keine Zinner Show ohne jene hochwertige musikalische Untermalung. Steter Wechsel der Instrumente, steter Tausch der Mikrophone. Das überaus amüsierte Publikum im Kesselhaus erfährt nicht nur von den Besonderheiten der Zinnerschen Ehesituation (er Bayer, sie aus dem Osten) sondern wird natürlich auch Zeuge, wie es so ist mit dem Schwiegervater im Baumarkt, der sich sächselnd durch die Heimwerkerabteilungen arbeitet. Auch Frau Zinner, ihres Zeichens Ärztin, wurde intensiv auf die Besondernheiten der bayrischen Sprache vorbereitet. Da ist der Unterschied zwischen “am Hax” und “dem Fuaß” schon sehr, sehr prägnant und kann nicht oft genug herausgearbeitet werden.
Die junge Dame zu meiner Rechten kann sich vor Lachen kaum halten. Einerlei ob der in München lebende Zinner von seiner äußerst aufmerksamen Nachbarin und seinem spärlich bekleideten Aufenthalt im Treppenhaus erzählt, egal ob das alljährliche Wintergrillen neuerdings mit veganen Shrimps angereichert oder ob er wieder die Verbindung zur Musik herstellt indem er bekennt, dass Bob Dylan der einzigste Nobelpreisträger ist, dessen Werke er allesamt gelesen hat und sich gleichzeitig die Frage stellt: Nobelpreis für Literatur, der Dylan – dann wirds Zeit, dass Keith Richard für den Nobelpreis der Chemie nominiert wird.
Zinner auf die wenigen Absätze eines Zeitungsberichtes zu reduzieren, wäre zu simpel, gar nicht passend. Man muss ihn gehört haben, seinen sehr wertigen Humor live erleben, sich der würzige Beigabe seines Blues hingeben und seine wahrhaft gelungene Show genießen, dann ist es so wie er am Schluss des Abends mit dem wehmütigen Titelsong zum besten gibt: “… eigentlich recht schön, net schwer zu verstehn, relativ simpel, grad drum is net leicht”. Großes Kino im Kesselhaus. Gerne wieder.
*** © Udo Kewitsch, einst, pre pandemic times, Zeichen: 3327, Zeilen: 47 ***